Bordelle im neunzehnten Jahrhundert

Bordelle im 19. Jahrhundert

Die industrielle Revolution als Wegbereiter der Prostitution

Die industrielle Revolution führte im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu einem zunehmenden Wachstum der Bevölkerung. Nur ein kleiner Teil der Menschen profitierte von Produktivität und Lohnarbeit. Zu den größten gesellschaftlichen Problemen vor allem in Europa zählten die sozialen Missstände, die aus der finanziellen Not großer Teile der Bevölkerung resultierten. Nicht zuletzt die Menschen in den Städten litten unter erheblicher Armut. Am meisten von Mittellosigkeit betroffen waren die Frauen. Sie verfügten nur über geringe berufliche Qualifikationen und entsprechend wenig Möglichkeiten zu einem ausreichenden Verdienst, um den eigenen Lebensunterhalt zu finanzieren.

In den Städten entwickelte sich zu der Zeit aus der Not heraus ein hohes Maß an Gelegenheitsprostitution. Sie bot den Frauen die Möglichkeit, aus der Armut auszusteigen und ihre finanziell häufig katastrophale Situation nennenswert zu verbessern. Gleichzeitig galt Prostitution gesellschaftlich als inakzeptabel und in weiten Teilen der Bevölkerung sogar als geächtet. Die Stadt Bremen etablierte im Jahr 1852 eine Regelung, die in Deutschland höchste Anerkennung fand. Sie sprach der Prostitution offiziell den gewerblichen Status ab und deklarierte sie damit zu einer sittenwidrigen Handlung.

Die Institutionalisierung der Sexarbeit

Die Prostitution wurde im 19. Jahrhundert in den meisten europäischen Staaten gesetzlich reguliert und institutionalisiert. Sexarbeit wurde nahezu ausschließlich in Bordellen praktiziert. Die Prostitution wurde behördlich beaufsichtigt. Es reichte bereits aus, sich als unverheiratete Frau allein in der Öffentlichkeit zu zeigen, um das Misstrauen der Sittenpolizei auf sich zu ziehen. In Frankreich, speziell in Paris, gab es neben den regulären Bordellen die sogenannten „Schlachthäuser“, spezielle Massenbordelle mit verheerenden Bedingungen sowohl für die Prostituierten als auch ihre Freier. Die Frauen mussten täglich 12-16 Stunden zur Verfügung stehen. Sie hausten zu vielen unter unmenschlichen Bedingungen auf engstem Raum und hatten während ihrer Dienstzeiten jederzeit verfügbar zu sein.

Die Doppelmoral zog sich durch alle gesellschaftlichen Schichten und quer durch Europa. Einerseits galt Prostitution als unentbehrlich, um das Triebleben von Männern in vermeintlich geordnete Bahnen zu lenken, andererseits wurde die Sexarbeit als verabscheuungswürdig definiert. Bordelle wurden nicht nur von staatlichen Behörden betrieben. Selbst die Kirche unterhielt eigene Freudenhäuser, um die sonst befürchteten sündigen Anwandlungen der Männer in geordnete Bahnen zu lenken.

Die Rolle der Frauenbewegung und die Abschaffung der Bordelle

Die Frauenbewegung versuchte im 19. Jahrhundert durch Reformen die Prostituierten vor der Willkür der rigiden Gesetze zu schützen und engagierte sich in ganz Europa für die Rechte der Frauen. Besonders im Fokus standen das Recht auf Bildung und ein Wertewandel in Bezug auf die sogenannte Sittlichkeit. Vor allem im spätviktorianischen Großbritannien erreichte die Frauenbewegung einen gesellschaftlichen Diskurs, der die bestehende Doppelmoral zum Thema hatte. Frauen wurden in diesem Kontext als Opfer männlicher Begierde betrachtet und nicht länger ausschließlich als sittenwidrige Kriminelle. Die Frauenbewegung erreichte eine Auseinandersetzung mit der herrschenden Sichtweise. Gutbürgerliche Söhne sollten ihre ersten sexuellen Erfahrungen mit Prostituierten machen, die Männer der arbeitenden Bevölkerung ihre Triebe ausleben, um bei Kräften zu bleiben und arbeitsfähig sowie produktiv zu sein.

Problematisch vor dem Bemühen, den Frauen eine Stimme zu verleihen und sie aus der geächteten Position zu holen, war die Schließung der staatlich regulierten Bordelle ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Frauenbewegung wollte die Prostituierten schützen, die Abschaffung der Bordelle führte jedoch auf lange Sicht ungewollt zum Gegenteil. Die Frauen waren plötzlich der Willkür ihrer Freier und Zuhälter ausgesetzt und konnten sich nicht mehr auf den Schutz durch Bordelle verlassen. Sie wurden entsprechend noch mehr ausgebeutet, als vor der Schließung. In Deutschland waren die Prostituierten gezwungen, Zimmer in kleinen Pensionen und Privatunterkünften zu mieten. Die Vermieter nutzten die Situation aus und verlangten horrende Mietbeträge. Viele Prostituierte verschuldeten sich und gerieten in den Teufelskreis der wachsenden Abhängigkeit von ihrem Vermieter.